Bekannt aus Erzählungen und Medien sind Fälle, in welchen ein künftiger Erblasser seinen letzten Willen in ungewöhnlicher Form ("Alles für Mutti, Euer Vati") zu Papier gebracht hat. Entsprechende Verfügungen sind auszulegen dahingehend, ob der Erblasser testieren wollte und, falls ja, welche Verfügungen er konkret gewollt hat.
Nun hatte das Oberlandesgericht Oldenburg jüngst einen Fall zu entscheiden, in welchem ein Erblasser auf einem Notizzettel einer Brauerei ("Bedienungs-Bestellblock") folgenden Text niederschrieb:
"BB kriegt alles. (Unterschrift, 04.12.2022)"
Zum Hintergrund: Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine eigenen Nachkommen, seine einzige Schwester war bereits vorverstorben. Diese verstorbene Schwester hat vier Kinder hinterlassen. Gemeinsam mit BB führte der Erblasser eine nichteheliche Partnerschaft, die beiden bewohnten jedoch keine gemeinsame Wohnung. Der Erblasser betrieb (gemeinsam mit BB) ein örtliches Lokal (sog. "Dorfkneipe"), welches davor von BB geführt wurde und er als Inhaber von ihr übernommen hatte. Kontakt zwischen dem Erblasser und der (dann verstorbenen) Schwester sowie deren Kindern bestand zuletzt selten. Der Erblasser verstarb im Dezember 2022.
Aufgefunden wurde der "Notizzettel" Anfang Januar 2023 beim Aufräumen im Gastraum hinter der Theke, wo mitunter auch unbezahlte Rechnungen (sog. "Deckel") verwahrt wurden. BB legte dem Nachlassgericht den Notizzettel einer Brauerei vor, auf welchem sonst gewöhnlich Bestellungen in der Gastronomie notiert werden. Dort heißt es „BB kriegt alles AA 04.12.22“. BB ist ihr Vorname. BB führt hierzu aus, dass sie diesen Zettel am 06.01.2023 im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort hatte der Erblasser gewöhnlich nicht bezahlte Rechnungen („Deckel“) verwahrt.
Das OLG hatte nun insbesondere darüber zu entscheiden, ob die Wahl einer "ungewöhnlichen Grundlage" (hier: der Notizzettel einer Brauerei, auf dem üblicherweise Bestellungen in der Gastronomie notiert werden) den Schluss darauf zulässt, dass dem Verfasser der Testierwille fehlte oder es sich hierbei nur um einen Entwurf handelte. Das OLG entschied hierzu, dass der Zettel ein wirksames Testament des Erblassers darstellt, und deshalb ein Alleinerbschein zugunsten von BB zu erteilen ist. Bei dem datierten Zettel handle es sich um ein wirksam errichtetes Testament, welches auch ausreichend bestimmt sei. Die Mindestanforderung für ein eigenhändiges Testament sind erfüllt - denn das Schreiben ist eigenhändig abgefasst und unterzeichnet (§ 2247 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus sind mehrere sogenannte Soll-Voraussetzungen für ein wirksames eigenhändiges Testament erfüllt. Die Unterschrift des Erblassers wurde mit Vor -und Nachnamen geleistet und das Schreiben wurde datiert. BB wurde in dem Schriftstück (trotzdem sie nur mit Vornamen genannt wurde) ausreichend bezeichnet. Nach Anhörung aller Beteiligten und der Vernehmung einer Zeugin war das Gericht davon überzeugt, dass der Erblasser die Antragstellerin mit der von ihm verwandten Abkürzung „BB“ meinte.
Allein der Umstand, dass das formgültige Schriftstück auf einer "ungewöhnlichen Unterlage" abgefasst wurde, lässt nicht den zwingenden Schluss zu, dass es sich bei dem Schriftstück um einen bloßen Entwurf handelt. Im Übrigen ließ sich das Schreiben (nach Ansicht des OLG) auch als Einsetzung der BB zur Alleinerbin auslegen. Die insoweit recht simpel gehaltene Formulierung entspräche dem von BB beschriebenen "einfachen" Charakter des Erblassers, der wenig mit intellektuellen Inhalten befasst gewesen sei.
(Quelle: OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2023, 3 W 96/23, BeckRS 2023, 40251)
Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt eindrücklich, dass Testamente in mannigfaltiger Form und Vielfalt errichtet werden können - und sei die Art und Weise der Abfassung auch noch so skurril. Entscheidend ist dabei, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung den Willen zur Errichtung eines Testaments hatte, und die (geringen) Formanforderungen eingehalten hat. Umso erstaunlicher ist es, dass nur rund 25% aller Bundesbürger ein eigenes Testament errichten. Der überwiegende Rest dagegen überlässt die Regelung seiner eigenen Nachfolge von Todes wegen der gesetzlichen Erbfolge, die mitunter willkürliche und möglicherweise nicht gewollte Folgen (z.B. beim Vorversterben eines gesetzlichen Erben) haben kann.
Nicht minder interessant ist allerdings der Ort der Verwahrung des Testamentes hinter dem Tresen, zwischen den "Deckeln" für nicht bezahlte Rechnungen der Gäste. Man stelle sich nur vor, der Zettel sei dort verknittert oder unlesbar geworden oder nicht (durch Zufall?) entdeckt und dem Nachlassgericht abgeliefert worden. Dieser Sachverhalt zeigt eindrücklich, dass nur die Abfassung in Kombination mit einer sorgfältigen Verwahrung eines Testaments dazu führt, seinem letzten Willen auch zur Gültigkeit zu verhelfen. BB wäre sonst als nichteheliche Lebensgefährtin wohl leer ausgegangen ...
Autor: Dr. Johannes v. Schönfeld, LL.M.,
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Erbrecht in München