Pflichtteilsrecht: Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses trotz Dürftigkeitseinrede des Erben bei Kostenübernahme durch den Pflichtteilsbrechtigten. OLG München, Urteil vom 01.06.2017 - 23 U 3956/16
Dem Pflichtteilsberechtigten steht ein Anspruch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers zu. Er kann vom Erben sowohl die Erstellung eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses verlangen als auch – etwa wenn er sich nicht nur auf die Angaben des Erben verlassen möchte – die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses beanspruchen. Die Kosten für das notarielle Nachlassverzeichnis muss der Erbe aus dem Nachlass bezahlen. Ist der Nachlass wertlos oder überschuldet, so können die Kosten für das notarielle Nachlassverzeichnis dem Nachlass nicht entnommen werden. Bei Beauftragung eines Notariats müsste der Erbe die Notarkosten selbst tragen. Ob der Erbe in solchen Fällen die Einholung eines notariellen Nachlassverzeichnisses infolge der Erhebung der sog. Dürftigkeitseinrede verweigern darf, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Das OLG München hat jedoch in seiner Entscheidung vom 01.06.2017 zumindest klargestellt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB dem Erben die Berufung auf die Einrede der Dürftigkeit in besonderen Konstellationen verbieten kann. In diesen Fällen kann dem Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses durch den Erben die Einrede der Dürftigkeit nicht entgegengehalten werden. Eine solche besondere Fallkonstellation hat das OLG München in dem entschiedenen Fall darin gesehen, dass der Pflichtteilsberechtigte die Übernahme der Notarkosten bereits mehrfach erklärt hatte und auch zu einer Entrichtung der Gebühren im Voraus an den Notar bereit war.
Zu der Frage, wann das Vorliegen einer solchen besonderen Fallkonstellation im Übrigen in Betracht gezogen werden kann bzw. welche Anforderungen insoweit erfüllt sein müssen, hat sich das OLG in seiner Entscheidung nicht geäußert. Die Entscheidung führt damit zu einer gewissen Rechtsunsicherheit. Zugleich eröffnet sie aber auch mehr Spielraum dafür, dem Einzelfall gerecht zu werden. Dies kann ein entscheidender Vorteil sein, da die Schutzwürdigkeit von Erben und von Pflichtteilsberechtigten je nach Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. So wird die Berufung auf die Dürftigkeitseinrede von so manchen Erben gerne dazu missbraucht, den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu vereiteln. Dies gelingt auch immer wieder, da die Anforderungen an den Nachweis der Dürftigkeit des Nachlasses bislang nicht sehr hoch sind. Andererseits versuchen auch Pflichtteilsberechtigte immer wieder, bei einem tatsächlich wertlosen Nachlass, den Erben mit der Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu schikanieren, zumal dieser dann die Kosten letztlich aus eigener Tasche tragen muss.
In diesem Problembereich ist daher im Ergebnis immer eine interessengerechte und sorgfältige Argumentation gefragt, um dem Mandanten zu seinem Recht zu verhelfen. Die gute Nachricht ist, dass das OLG München mit seiner Entscheidung einen solchen Weg überhaupt eröffnet hat.
Eine umfassende Entscheidungsanmerkung der Verfasserin findet sich in ZErb 2017, 363.
Autor: Dr. Johanna Schmidt, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Erbrecht in München
Autor: Dr. Johanna Schmidt, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Erbrecht in München